„Die Goldenen Zeiten für Glycerin in Europa sind vorbei“

Tobias Thiel, Senior Product Manager bei CREMER OLEO, geht davon aus, dass der europäische Markt für Glycerin auch nach dem Ende der COVID 19-Krise nicht zu alter Größe zurückfindet. Das ist das Fazit seines Vortrags beim Symposium „Vegetable Oils in a Circular Economy“ der Deutschen Gesellschaft für Fettwissenschaft. Seine wichtigsten Aussagen hier noch einmal im Interview:

 

Die Nachfrage nach pflanzlichem Glycerin steigt seit Jahren. Warum glauben Sie, dass der europäische Markt schwieriger wird?

Weil sich der Glycerin-Markt zunehmend von einem Käufer- zu einem Verkäufer-Markt wandelt. Das ist nachvollziehbar, wenn man sich ansieht, wie pflanzliches Glycerin entsteht: Es entsteht als Nebenprodukt in einer sogenannten Transesterifizierung, hauptsächlich bei der Biodiesel-Produktion. In der Herstellung des Kraftstoffs fallen neben 90% Biodiesel immer auch 10% pflanzliches Glycerin an. Bei dieser prozentualen Verteilung ist klar, welches Produkt die Richtung vorgibt. So hat der Biodiesel-Boom der vergangenen Jahren automatisch zu einem großen Angebot am Glycerin-Markt geführt. Wenn sich jetzt immer mehr alternative Antriebstechnologien und Kraftstoffe auf dem Markt durchsetzen, sinkt die Biodiesel-Produktion aus Transesterifizierung und damit automatisch die Glycerin-Menge am Markt.

Eine grünere Mobilität führt zu weniger Glycerin am europäischen Markt?

Ganz richtig. Wir sehen aktuell fünf große Trends, durch die der Biodiesel-Verbrauch sinkt: Im Straßen- und Luftverkehr kommen mit HVO und SAF neue, hochwertigere Kraftstoffe auf den Markt, die teilweise durch das "Fit for 55"-Programm der EU abgedeckt sind. In Deutschland, dem Land mit dem bei weitem größten Diesel-Anteil in der PKW-Flotte, steigt die Zahl zugelassener E-Fahrzeuge rapide an. Außerdem kann hier ein günstiger Ethanolpreis die Biodiesel-Menge im Markt beeinflussen, denn über Kompensationsmodelle können Kraftstoffhersteller den Anteil ihrer Bio-Beimischung in Diesel (Biodiesel) oder Benzin (Ethanol, z. B. als E10) teilweise ausgleichen.

Mengenmäßig noch viel bedeutsamer als der PKW-Sektor ist aber der Schwerlastverkehr mit LKW. Hier heißen die Kraftstoff-Alternativen neben Elektrifizierung auch LNG und CNG. Letzter Trend, aus der Biodiesel-Produktion selbst: Weltweit gewinnen neue pflanzliche Rohstoffe an Bedeutung, etwa aus Zwischenfrüchten und Algen. Daneben wird er immer häufiger waste-based, also aus Abfällen produziert. Sie kommen etwa aus gebrauchtem Speisefett (UCO), Schlachtbetrieben (tallow), Tannenholz (tall-oil) oder der Palmöl-Produktion (palm-oil mill effluent, POME). Das ist nachhaltig, aber aus diesen Rohstoffen kann kein hochwertiges Glycerin entstehen, das später Lebensmittel-Qualität hat bzw. Kosher-, Halal- oder Bio-Kriterien genügt.

Für den wachsenden Bedarf an hochwertigen Glycerin-Qualitäten für Food, Kosmetik oder Pharma steht immer weniger Ware aus europäischer Produktion zur Verfügung.
Tobias Thiel, Senior Product Manager Glycerin

Auf der Angebots-Seite sehen Sie sinkende Glycerin-Mengen. Wie beurteilen Sie die weltweite Nachfrage?

Die steigt, kontinuierlich seit Jahren. Im technischen Bereich können auch einfache Qualitäten gut eingesetzt werden. Aber überall dort, wo Qualitätsauflagen weiter steigen und Nachhaltigkeits-Anforderungen strikter werden, wie im Food-, Kosmetik- oder Pharmasektor, geht die Schere zwischen wachsendem Bedarf und sinkendem Lieferangebot immer weiter auf. Die Glycerinmenge aus europäischen Rohstoffen wie Raps ist gedeckelt. Wir werden immer stärker von Importware abhängig.

Wäre oleochemisches Glycerin ein Ausweg?

Oleochemisches Glycerin entsteht nicht in der Biodiesel-, sondern in der Fettsäure-, Fettalkohol- und Seifen-Produktion, wieder mit einem Anteil von 10% des eingesetzten Pflanzenöls. Die globale Nachfrage nach oleochemischen Produkten steigt kontinuierlich. Sie unterliegt kaum politischem Einfluss und ist damit rein nachfragegetrieben. Das sind sehr gute Vorzeichen! Aber der oleochemische Anteil am Glycerin-Markt beträgt nur rund 25% und kann die Mengen aus der Biodiesel-Herstellung bei weitem nicht kompensieren.

Worauf müssen sich Unternehmen einstellen, die Glycerin einsetzen?

Die geringere lokale und internationale Verfügbarkeit von Glycerin hat heute schon Konsequenzen – und die werden zunehmen. Nicht jede Glycerintype wird in Zukunft nicht mehr ganzjährig wie gewohnt zur Verfügung stehen. Unternehmen müssen sich auf höhere und volatilere Preise einstellen, Jahreskontrakte wird es nur noch in Ausnahmefällen geben.

Wir verfolgen drei Strategien, um unsere Supply Chains für Glycerin zu sichern.
Tobias Thiel

Was tut CREMER OLEO, um dennoch auch langfristig zum Wachstum seiner Kundinnen und Kunden beizutragen?

Wir tun alles, um die Lieferketten unserer Kundinnen Kunden auch in Zukunft sicherzustellen. Dafür verfolgen wir aktuell parallel drei Strategien: Wir diversifizieren unsere Lieferketten. Aktuell bauen wir etwa unser großes und stabiles globales Lieferanten-Netzwerk für pflanzliches Glycerin global weiter aus, um die Supply Chain aus dem Anbauland bis zur europäischen Produktion unserer Kunden sicher abzubilden. Wir verstärken auch unser Sourcing in Südost Asien und Lateinamerika. Parallel investieren wir in unsere Transport-Infrastruktur in Europa, in Läger und Tanks, um noch individueller auf die Bedürfnisse unserer Kunden eingehen zu können und Versorgungssicherzeit zu schaffen – Stichwort Customized Supply Chains. Und nicht zuletzt werden wir unser Produktportfolio im Laufe des Jahres um ein Glycerin Substitut erweitern, um die Rohstoffbasis unserer Kundinnen und Kunden zu diversifizieren und sie auch bei ihrem zukünftigen Wachstum zu begleiten.